Warum das Corona-Virus auf den Menschen übersprang

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Die Corona-Pandemie hält die Welt in Atem, das neue Virus mit dem Namen SARS-CoV- 2 breitet sich aus. Die Schutzmaßnahmen verändern das menschliche Miteinander, prägen die globale Wirtschaft und beeinflussen auch internationale Klima- und Umweltziele. Vielen Menschen ist plötzlich wieder bewusster geworden, dass unsere Gesellschaft eben nicht abgeschottet von ihrer Umwelt existiert.

Das Epizentrum der vom Virus verursachten Krankheit COVID-19 lag in Wuhan. Die zentralchinesische Millionenstadt ist auch ein wichtiger Knotenpunkt im oft sehr lukrativen Handel mit Wildtieren. Sehr viel deutet darauf hin, dass der Ausbruch auf einem Markt stattfand, auf dem auch Wildtiere – tot und lebendig – gehandelt werden. Die Regulierungs- und Tierschutzstandards dort sind bestenfalls rudimentär.

Die Genetik von SARS-CoV-2 zeigt: Das Virus ist von Fledermäusen vermutlich über den sogenannten Larvenroller (Paguma larvata) – eine fleischfressende, vorwiegend in Bäumen lebende Schleichkatze – als Zwischenwirt auf den Menschen übertragen worden. Der Larvenroller wird in China gegessen. Das katzenartige Raubtier wurde bereits mit dem SARS-Virus in Verbindung gebracht und steht hier stellvertretend für ein großes neuzeitliches Problem: Viele der neuen Infektionskrankheiten sind sogenannte Zoonosen.

Als Zoonosen werden Krankheiten bezeichnet, bei denen Erreger von Tieren auf Menschen überspringen (siehe Infokasten). Die US-Gesundheitsbehörde „Center for Disease Control and Prevention“ (CDC) schätzt, dass 75 Prozent der neu auftretenden Infektionskrankheiten ihren Ursprung bei Tieren haben.

Andere Zoonosen:

SARS
Die Zoonose mit mehr als 770 Toten in 37 Ländern wurde auf einem chinesischen Tiermarkt von ursprünglich Fledermäusen vermutlich über Marderhunde auf den Menschen übertragen.

MERS
Als Wirt des Erregers konnten Dromedare im Mittleren Osten identifiziert werden. Dort haben bis zu 74 Prozent aller Tiere entsprechende Antikörper.

Ebola
Auch hier waren die ursprünglichen Wirte vermutlich Fledermäuse, die das Virus unter anderem auf Affen übertrugen, deren Fleisch von Menschen gelegentlich als „Bushmeat“ gegessen wird.

Vogelgrippe Vögel sind Wirte von Influenzaviren. Das H5N1-Virus wurde beispielsweise bei importierten Papageien nachgewiesen.

HI
Die wohl verheerendste neuzeitliche Zoonose ist die Aids-Epidemie mit bis zu 25 Millionen Toten. Eine schon lange in Affen zirkulierende Varianten der Immunschwächeviren sprang auf den Menschen über.

Die großen Wildtiermärkte in Südostasien bieten der Übertragung von Krankheiten zwischen unterschiedlichen Arten ein ideales Umfeld. Auch wenn zum Beispiel nach chinesischem Recht ein Großteil des Handels legal ist, gibt es meist einen parallelen illegalen Handel – oft am selben Stand vom gleichen Händler. So kommen auch illegal gehandelte Arten in engen Kontakt mit Menschen.

Dieser Handel ist ein großes Geschäft. Die Chinesische Akademie für Ingenieurwesenschätzt den Wert der Wildtierzuchtindustrie auf rund 57 Milliarden US-Dollar jährlich. Der illegale Handel ist weniger leicht zu quantifizieren. Die UNO schätzt ihn weltweit auf etwa 23 Milliarden US-Dollar. Zum Vergleich: Allein die SARS-Pandemie kostete die Weltwirtschaft fast 40 Milliarden US-Dollar. Und die Schätzungen der COVID-19-Folgen gehen längst in die Billionen – von den politischen Kosten ganz zu schweigen.

Tatsächlich ist der Wildtierhandel nicht nur ein Problem Chinas. 2012 starben in Sachsen-Anhalt vier Menschen an einer Hirnhautentzündung – ausgelöst durch sogenannte Bornaviren von exotischen Bunthörnchen. In Deutschland steigen zudem Salmonellen-Infektionen stark an, die auf Kontakte mit immer beliebter werdenden Schlangen, Bartagamen, Geckos oder Chamäleons zurückgeführt werden können. 90 Prozent der Reptilien sind Ausscheider von Salmonellen.

Deutschland ist seit vielen Jahren eines der zentralen Länder im Handel mit Wildtieren. Im Jahr 2013 vereinbarte die damalige Große Koalition ein Verbot von Wildfangimporten, setzte es allerdings nicht um. Stand der illegale Handel mit Wildtieren bisher fast ausschließlich aus Artenschutzgründen in der Kritik, wird nun insbesondere über Themen wie Biosicherheit, öffentliche Gesundheit und wirtschaftliche Auswirkungen debattiert.

Naturzerstörung fördert Zoonosen
Allerdings sind das Problem nicht die Wildtiere selbst, weil sie etwa übermäßig von tödlichen Krankheitserregern befallen wären. Tatsächlich sind die meisten der für den Menschen gefährlichen Mikroben sogar relativ harmlos für ihre Wirtstiere. Vielmehr müssen die immer häufigeren Kontakte zwischen Wildtieren und Menschen in den Fokus. Denn dabei können auch zivilisationsferne Viren immer häufiger in menschliche Körper wechseln, erhalten so immer mehr Möglichkeiten zur Anpassung – und damit auch zur Verwandlung in für den Menschen tödliche Krankheitserreger.

Insofern sind das eigentliche Problem der Mensch und seine Lebensweise. Sein Vordringen in bisher kaum berührte Wälder durch Abholzung, Berg- und Straßenbau, industrielle Aktivitäten oder das Ausdehnen von Siedlungsräumen bringen ihn immer häufiger in Kontakt zu Tierarten, denen er sonst kaum begegnet wäre. So eröffnet die naturzerstörende Lebensweise des Menschen tierischen Mikroben immer mehr Wege, sich an den menschlichen Körper anzupassen. Zoonosen sind damit auch ein Preis für unser Wirtschaftswachstum, das auf der Zerstörung von Lebensräumen beruht.

Die industrialisierte Landwirtschaft spielt dabei eine problematische Rolle. Zum einen ist sie ein Treiber für das immer weitere Vordringen in die letzten Urwälder. Dabei wird die bisherige funktionelle Vielfalt von riesigen Landflächen durch Monokulturen ersetzt. Zuvor eingeschlossene Krankheitserreger können dann viel leichter auf die lokale Viehzucht überspringen. Bei verschiedensten Vogelgrippen und auch der afrikanischen Schweinepest etwa drangen Erreger aus dem entlegensten Hinterland erst in Mastbetriebe und dann in den globalen Waren- und Reiseverkehr vor. Zum anderen sind Mastbetriebe genetischen Monokulturen. Wenn ein Virus vordringt, gibt es keinen Schutzwall mehr. Aus wenig ansteckenden Grippeviren können sich dann sehr schnell hochansteckende Infektionswellen entwickeln.

Turbo-Evolution im Anthropozän
Genau dieser Prozess bereitet die größten Sorgen. Die Welternährungsorganisation FAO hat bereits 2008 eindringlich darauf hingewiesen, dass die Industrialisierung der Nutztierhaltung insbesondere bei der Entstehung von Grippeviren eine große Gefahr darstellt. Der Mensch schaltet die Evolution von Krankheitserregern in derartigen Tierfabriken in den Turbo. Und Achtung: Die größten Schweine- und Geflügelanlagen Europas stehen in Deutschland.

Das Virus SARS-CoV-2 ist weder einzigartig noch ein Unglück. Vielmehr war die Pandemie vorhersehbar. Sie ist ein Phänomen des Anthropozän, der Menschenzeit. So wird unsere Epoche mittlerweile genannt, weil der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die geologischen, atmosphärischen und eben auch die biologischen Prozesse der Erde geworden ist. Wo der Evolution bisher natürliche Barrieren wie etwa Meere oder Gebirge im Weg standen, hilft ihr mit dem Menschen nun eine äußerst mobile und vernetzte Art, alle natürlichen Grenzen zu überwinden. Die Corona-Pandemie ist bei Weitem nicht die einzige globale Krise, die der Mensch durch massive Grenzüberschreitungen ausgelöst hat. Auch die Klimakrise, auch das Artensterben sind allgegenwärtig. Auch sie bedrohen unsere Gesundheit und unseren Wohlstand. Ganze Landstriche werden überflutet oder brennen. Insekten sterben, Gletscher schmelzen, Viren zirkulieren. Was einst getrennt schien, muss im Anthropozän zusammen betrachtet werden.

Sowohl die Klimakrise und das Artensterben als auch das Aufkommen neuer Krankheitserreger hängen mit unserem Unvermögen zusammen, die planetaren Belastungsgrenzen einzuhalten. Wir müssen endlich mit der Natur und nicht gegen sie leben, wenn das Anthropozän noch ein zukunftsfähiges Zeitalter werden soll. Das COVID-19-Virus ist auch ein Weckruf. Es sollte der Letzte sein.

Kai Niebert
Präsident Deutscher Naturschutzring